"Inklusion ist kein Selbstläufer"
Herr Gelhausen, Sie sind Diversity Manager. Warum engagieren Sie sich für Vielfalt?
Frank Gelhausen: Aus der eigenen biographischen Erfahrung und als Teil der queeren Community weiß ich, wie es ist, mit Barrieren und Vorurteilen konfrontiert zu sein. Deshalb habe ich mich schon lange vor meiner professionellen Rolle als Diversity Manager für Vielfalt und marginalisierte Personen eingesetzt und verschiedene Initiativen und Projekte, wie zum Beispiel die Gründung des Pride Networks bei Hays, unterstützt.
Diversity & Inclusion gewinnt für mehr und mehr Unternehmen an Bedeutung. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Frank Gelhausen: Im Zeitalter von Fachkräftemangel und demographischem Wandel wird das Thema natürlich immer wichtiger. Denn Unternehmen, die Vielfalt und Inklusion fördern, ziehen ein breiteres Spektrum an Talenten an und können so auf einen größeren Pool von qualifizierten Fachkräften zugreifen. Studien zeigen: Als besonders attraktiv werden diejenigen Unternehmen wahrgenommen, die nicht nur in ökonomischer, sondern auch in ökologischer und sozialer Hinsicht Verantwortung übernehmen. Auch fördert das Engagement für Vielfalt die Zufriedenheit der Mitarbeitenden, was wiederum die Produktivität und Loyalität erhöht und die Bindung stärkt.
Darüber hinaus weiß man inzwischen, dass Unternehmen mit vielfältigen und inklusiven Teams oft erfolgreicher sind. Zudem haben sie eine höhere Wahrscheinlichkeit, profitabel zu wirtschaften. Auch auf die Innovationskraft zahlt die Förderung von Vielfalt ein, denn vielfältige Teams schöpfen aus unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen, was zu kreativeren und innovativeren Lösungen führt. In unserer globalisierten und sich schnell verändernden Welt ist das ein großer Vorteil.
Inklusion, also die Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, ist ein wichtiger Aspekt von Diversity & Inclusion. Wo stehen wir bei diesem Thema?
Frank Gelhausen: In Deutschland sehen wir aktuell ein sehr heterogenes Bild. Die Bundesregierung hat Maßnahmen ergriffen, um die Arbeitswelt inklusiver zu gestalten. Dazu gehört das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes, das darauf abzielt, mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Arbeit zu integrieren. Trotz dieser Bemühungen zeigt das Inklusionsbarometer Arbeit 2023 von Aktion Mensch, dass Menschen mit Behinderungen weiterhin strukturell diskriminiert werden. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen liegt immer noch deutlich höher als die allgemeine Arbeitslosenquote. Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen. Die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen ist zuletzt etwas gesunken, und es gibt Initiativen wie die Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA), die Unternehmen bei der Einstellung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen unterstützen.
© gettyimages (AzmanL)
Warum tun sich Unternehmen beim Thema Inklusion immer noch so schwer?
Frank Gelhausen: Inklusion in der Arbeitswelt bringt sowohl strukturelle als auch kulturelle Herausforderungen mit sich. Viele Arbeitsplätze sind nicht barrierefrei gestaltet, weil sie zum Beispiel nur über Treppen oder schmale Türen zu erreichen sind und Aufzüge fehlen. Um Arbeitsplätze oder -mittel individuell an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung anzupassen, braucht es oft kreative Lösungen oder entsprechende Ressourcen, die nicht allen Unternehmen zur Verfügung stehen. Eine weitere Hürde ist der Tatsache geschuldet, dass die Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen zur Inklusion teilweise sehr komplex ist. Vielerorts herrschen auch immer noch Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen oder es fehlt schlicht an Wissen über deren spezifische Bedürfnisse und Fähigkeiten, was Diskriminierung und geringere Beschäftigungschancen zur Folge haben kann. All das zeigt, wie wichtig es ist, offen über das Thema Inklusion zu sprechen und die Aufklärung und Sensibilisierung weiter voranzutreiben.
Was würden Sie einem Unternehmen raten, das eine inklusivere Arbeitsumgebung schaffen will?
Frank Gelhausen: Inklusion ist kein Selbstläufer! Eine inklusive Unternehmenskultur kann nur dann entstehen, wenn die Unternehmensführung die Vision einer inklusiven Kultur aktiv vorlebt und unterstützt, indem sie die notwendigen Ressourcen und Budgets bereitstellt und das Thema idealerweise in die Unternehmensstrategie integriert. Darüber hinaus ist es wichtig, ein einheitliches Verständnis von Diversity & Inclusion zu schaffen, das sich in den Unternehmenswerten, den Prozessen oder einem Code of Conduct widerspiegelt. Bewährt haben sich auch regelmäßige Schulungen, die Mitarbeitende wie Führungskräfte für das Thema sensibilisieren und dazu beitragen, Vorurteile und Stereotypen abzubauen. Um ein Klima zu schaffen, in dem sich alle Mitarbeitenden wertgeschätzt und respektiert fühlen, sollten Unternehmen darüber hinaus nicht nur eine in physischer und virtueller Hinsicht barrierefreie Arbeitsumgebung schaffen, sondern auch flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatzregelungen etablieren, die auf die unterschiedlichen Bedürfnisse einer vielfältigen Belegschaft eingehen.
Eine inklusive Arbeitsumgebung kann jedoch nicht von oben verordnet werden. Sie muss aus dem Unternehmen heraus gelebt werden, indem man Ideen und Erfahrungen der Mitarbeitenden aufgreift und in die Entwicklung von Inklusionsmaßnahmen integriert. Das kann zum Beispiel durch die Gründung von internen Unternehmensnetzwerken oder die Einführung von Mentoring- Programmen geschehen.
Gibt es Best Practices, die Sie aus Ihrer Erfahrung heraus anderen Unternehmen empfehlen können?
Frank Gelhausen: Fakten statt Bauchgefühl! Um eine sachliche, datenbasierte Diskussionsgrundlage zu schaffen, Ziele zu entwickeln und belastbare Kennzahlen zu erhalten, sollten Unternehmen ihre Fortschritte in Bezug auf Vielfalt und Inklusion kontinuierlich messen und transparent kommunizieren. Gute Erfahrungen haben wir auch mit der Mitgliedschaft in einer branchenübergreifenden Arbeitgeberinitiative gemacht, über die wir uns regelmäßig mit anderen inklusionsstarken Unternehmen austauschen und vernetzen. Viele gute Impulse und konkrete Anregungen erhalten wir zudem über die Partnerschaft mit einem inklusionsorientierten Sozialunternehmen.
Stellen Sie sich vor, Sie hätten einen Wunsch zum Thema Inklusion frei …
Frank Gelhausen: … dann würde ich mir wünschen, dass sich die Vielfalt der Belegschaft auch im Management widerspiegeln würde. Führungskräfte mit Behinderung oder chronischer Erkrankung könnten als Role Models ein ganz starkes Zeichen für Chancengerechtigkeit und gelebte Inklusion setzen.
© privat
Frank Gelhausen hat Kultur- und Geschichtswissenschaften (M.A.) an der Universität Basel und der Humboldt-Universität zu Berlin studiert. Seit 2013 ist er bei Hays, wo er zunächst als Senior Recruiting Specialist tätig war, bevor er 2021 die Rolle als Diversity Manager übernommen hat, in der er zahlreiche Projekte rund um Vielfalt, Teilhabe und Chancengerechtigkeit verantwortet.
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