Klarheit und Fokus in Krisenzeiten – was bewirkt gehirngerechtes Arbeiten?
Um den aktuellen multiplen Krisen und der steigenden Unsicherheit gepaart mit einer kontinuierlichen Flut an Informationen zu begegnen, ist es für Unternehmen und ihre Beschäftigten wichtiger denn je, effizient, fokussiert und produktiv zu arbeiten. Das Finden neuer Lösungen und die Steigerung von Produktivität steht hier besonders im Vordergrund – und beides hat mit gehirngerechtem Arbeiten zu tun.
Sowohl das Finden neuer Lösungen als auch Produktivitätssteigerungen sind abhängig davon, wie wir unsere Arbeit gestalten. Die erste große Studie „Kosten von Arbeitsunterbrechungen für deutsche Unternehmen“ ermittelte in 12 Unternehmen aus 25 Branchen per digitaler Tagebuch-App, dass Unternehmen drei Tage pro Monat pro Beschäftigtem nur durch Arbeitsunterbrechungen verlieren. Zusätzlich erleben wir einen Boom der Online-Meetings: + 153 % mehr Video-Calls und 62 % davon ungeplant. Die Studienteilnehmer gaben an, dass mindestens 35 % der Meetings irrelevant für sie seien. So verlieren wir zwei weitere Tage und kommen auf ein Potenzial von 5 Tagen, wodurch ein wirtschaftlicher Schaden in Höhe von 114 Mrd. Euro für deutsche Unternehmen entsteht.
Multitasking ist nicht die Lösung
Unser Gehirn benötigt eine Re-Fokussierungszeit von mindestens 15 % bei einfachen Aufgaben, um sich nach einer Unterbrechung wieder konzentrieren zu können. Bei komplexen Aufgaben erhöht sich der Mehraufwand auf bis zu 28 %. Um die Informationsdichte und die Anforderungen zu bewältigen, schalten die meisten Beschäftigten, wie auch die an der Studie teilnehmenden Personen angaben, in den Multitasking-Modus und wechseln schnell zwischen den Aufgaben, um möglichst viel erledigt zu bekommen. Allerdings ist das menschliche Gehirn nicht in der Lage, zwei oder mehr konzentrationsbedürftige Inhalte parallel zu bearbeiten, da es nur zwei Arbeitsspeicher hat, zwischen denen es hin- und herwechselt. Die Folge: mehr Fehler, mehr Stress und sinkende Innovations- und Lösungskraft! Das führt zu „mehr Desselben“ und nicht zu neuen Wegen, um Krisen zu meistern.
Meetings, die keiner braucht
Bei einem Plus von 153 % bei den Online-Meetings seit 2020, von denen 62 % ungeplant sind, stellt sich das „neue Normal“ als ein „Meeting-Normal“ dar. Die aktuelle Microsoft Trend Studie ermittelte, dass die Multitasking-Quote während Online-Meetings um 66 % zugenommen hat. Mit anderen Worten: nur knapp 1/3 der Teilnehmenden konzentriert sich überhaupt auf die Meetinginhalte. Der Rest lässt das Meeting quasi im Hintergrund mitlaufen. Die nach wie vor binär gestellte Frage „Home-Office ja oder nein“ beantworten viele Mitarbeitenden mit einer erhöhten Produktivität im Home-Office, die aber nur die Hälfte der veröffentlichten Studien bestätigen. Allerdings wird grundsätzlich nur subjektives Produktivitätserleben und nicht objektiver Output gemessen. Überdies werden Wechselwirkungen aus der Projektarbeit selten berücksichtigt. Der Trend zurück ins Büro ist eingeleitet und es wird wohl überwiegend auf ein 3/2 Modell hinauslaufen. Allerdings ist die Frage nach der Produktivität nicht anhand des Arbeitsortes allein zu beantworten.
Je mehr Technik, desto erschöpfter sind wir
In der Studie konnte ermittelt werden, dass bei ansteigendem Digitalisierungsgrad auch die Multitasking- und Unterbrechungshäufigkeit anstiegen und in der Folge das Stresserleben. Mit anderen Worten: Je mehr digitale Tools Beschäftigte verwenden, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie auch durch diese Tools unterbrochen werden oder sich dazu verleiten lassen, mehrere Aufgaben parallel zu bearbeiten. Wir müssen uns also verabschieden von der Idee, dass uns mehr digitale Tools automatisch produktiver machen. „Wissensarbeitende springen unentwegt zwischen Aufgaben, Terminen und verschiedenen Kommunikationskanälen hin und her.... wer kennt es nicht...doch am Ende des Tages kostet es Performance und Energie“, erläutert Gerald Fahnenbruck, Senior Department Head Project Business Finance bei Hays.
Fazit: Wir müssen Arbeit gehirngerecht gestalten, um produktiver und gleichzeitig weniger gestresst zu sein. Eine Win-Win-Situation für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen. Nachfolgend stellen wir Ihnen einige Maßnahmen aus dem Focused-Company-Modell vor, dem ersten Modell für die strukturierte Einführung von konzentriertem Arbeiten im Unternehmen.
Wie lässt sich die Fragmentierung der Arbeit nun konkret verbessern?
#Fokuszeit im gesamten Unternehmen
Eine kollektive Fokuszeit von zwei Stunden am Vormittag wirkt sich auch abends noch positiv auf den Cortisol-Spiegel aus. Die zu bearbeitenden Inhalte der Fokuszeit werden selbstbestimmt festgelegt, so dass automatisch das Selbstwirksamkeitserleben erhöht wird, was oft verloren geht, wenn Beschäftigte den Arbeitstag komplett fremdbestimmt verbringen. In der Fokuszeit werden alle konzentrationsbedürftigen Aufgaben störungsfrei bearbeitet. Auch Führungskräfte, also wirklich das gesamte Unternehmen inkl. Chefs und Chefinnen, arbeitet einmal am Tag höchst konzentriert, was auch messbare Auswirkungen auf Entscheidungsqualität und den Umgang mit Komplexität hat. „Denn Führungskräfte haben einen noch stärker durch Unterbrechungen und Meetings zersplitterten Arbeitsalltag und sind stressgeplagter als ihre Mitarbeitenden,“ führt Gerald Fahnenbruck an.
#Digitale Tools fokussieren
Es ist nicht die Menge an Tools, die uns produktiv macht – im Gegenteil, wie die Studie beweisen konnte. Es geht um zielgerichteten und intelligenten Einsatz von Technik. Gleichzeitig sollte festgelegt werden, über welche Kanäle synchrone bzw. asynchrone Kommunikation geführt wird. Dann müssen nur noch diejenigen Kanäle engmaschig kontrolliert werden, über die die dringliche Kommunikation stattfindet.
#Radikale Meetinginventur
Unnötige Meetings frustrieren und demotivieren, das ist empirisch belegt. Da hilft nur die Durchführung einer radikalen Meetinginventur. Und falls beim Lesen nun an die Einführung von Meeting-Regeln gedacht wird, empfehlen wir, diese nicht isoliert einzusetzen, sondern als integralen Bestandteil eines Gesamtkonzeptes, denn die Meetingproblematik liegt auf der Symptom- und nicht auf der Ursachenebene.
#Fokussierung der Initiativen und Projekte
Viele Unternehmen starten mehrere Veränderungsprozesse parallel – wie z. B. Leitbildprozesse, agile Führung, New Work, digitale Transformation, Werteprozesse, betriebliches Gesundheitsmanagement – und packen diese auf das hohe Projektvolumen oben auf. Das spaltet den Fokus und damit die Energie, zumal diese Prozesse oftmals nicht in ein Gesamtkonzept integriert sind. Ihnen fehlt der rote Faden. Der Erfolg liegt daher in der Reduzierung und Fokussierung dieser Initiativen und deren strategischer Verknüpfung mit den laufenden Projekten, damit der notwendige rote Faden entsteht. Überdies braucht es „organisational slack“, um konzentrierte Projektarbeit und Veränderung zu ermöglichen. Denn im Stressmodus verlieren wir nicht nur Zeit, Produktivität und Kreativität. Unser Gehirn greift auch auf bewährte alte Muster zurück, um Unsicherheiten und weitere Energieverluste zu minimieren. So wird Veränderung unwahrscheinlich.
© Getty Images
#Pausen
Pausen sind Gehirnarbeitszeit. Dort vernetzt, lernt und regeneriert das Gehirn. Deutschland hat eine schlechte Pausenkultur. Nur 25% der Beschäftigten nehmen regelmäßig ihre vollen Pausen. Im hybriden Arbeiten hat sich dieser Zustand tendenziell verschlechtert und die Arbeitstage wurden länger. Und selbst wenn Pausen genommen werden, lässt der nahezu automatisierte Griff zum Smartphone in der arbeitsfreien Zeit das Gehirn im digitalen Stressmodus. Denn für das Gehirn ist es egal, ob digitale Arbeitsinhalte aufgenommen oder bei Facebook Feeds gelesen werden.
Fazit
Unternehmen müssen ihre Wertschöpfung anders gestalten – nicht nur, um auch im digitalen Wissenszeitalter produktiv zu sein. Denn Produktivität und Beschäftigtsein darf nicht miteinander verwechselt werden. Um im Rahmen des verschärften Fachkräftemangels als attraktives Unternehmen wahrgenommen zu werden, müsste eine Produktivitätssteigerung durch unternehmensweites, gehirngerechtes Arbeiten umgesetzt werden. Denn unser Gehirn kennt keinen Rebound-Effekt. Wir plädieren stark dafür, dieses Thema strategisch aufzusetzen und mit voller Unterstützung des Top-Managements als komplettes Maßnahmenpaket umzusetzen sowie im Unternehmen zu verankern. Lose Einzelmaßnahmen, so wie wir sie derzeit oft in den Unternehmen erleben, sind meist nur begrenzt wirksam.
Zur Studie
An der Tagebuchstudie „Kosten von Arbeitsunterbrechungen für deutsche Unternehmen. Auswirkungen von Fragmentierung auf Produktivität und Stressentwicklung“ haben zwischen Dezember 2021 und Februar 2022 insgesamt 637 Beschäftigte aus 25 Unternehmen in 12 Branchen mit Schwerpunkt Wissensarbeit teilgenommen. Die Befragung wurde von der Next Work Innovation UG mittels eines Onlinefragebogens und einer webbasierten Tagebuch-App durchgeführt. Als Wissenschaftlicher Beirat agierten Prof. Dr. Volker Busch, Neurowissenschaftler und Facharzt für Neurologie und Prof. Dr. Rolf van Dick, Sozialpsychologe. Der Think Tank Next Work Innovation Garage hat das erste Modell für Unternehmen entwickelt, wie konzentriertes Arbeiten und Fokussierung systematisch eingeführt werden und damit der Übergang in das Arbeiten im digitalen Zeitalter erfolgreich gelingen kann.
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