Altersvielfalt - ein Weg aus der Krise am Arbeitsmarkt?
Die Fachkräftenot wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verstärken, darüber sind sich Expertinnen und Experten einig. Umso erstaunlicher, dass viele Unternehmen ältere Mitarbeitende in Frührente schicken, statt diese erfahrenen Fachkräfte stärker zu fördern und einzubinden. Denn die damit verbundenen Chancen sind immens.
Wir kennen die Fakten seit vielen Jahren. Seit Mitte der 60er-Jahre die Geburten pro Jahr rückläufig waren, wussten Expertinnen und Experten, dass zu einer bestimmten Zeit eine Art Unterdruck am Arbeitsmarkt entstehen muss, der mehr Kräfte entzieht als nachkommen. Sicher, es gibt andere Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, wie Zu- (und Ab-)Wanderung, Digitalisierung oder Automatisierung. Die aktuellen Prognosen für die kommenden zehn Jahre sagen jedoch voraus, dass uns bis zum Jahr 2035 sieben Millionen Arbeitskräfte fehlen werden.
Diese Lücke, die die deutsche Wirtschaft fundamental bedrohen wird, ist auch ein Angriff auf unseren Wohlstand. Es gibt nicht die eine Maßnahme, um entgegenzusteuern. Erst recht nicht kurzfristig oder wenn es schon zu spät ist. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit wird immer wieder diskutiert, stößt aber auf breiten Widerstand. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte zwar erleichtern - nur stehen diese nicht gerade Schlange, sondern drängen eher in die USA oder nach Kanada. Gleichzeitig entziehen vor allem große Konzerne dem Arbeitsmarkt durch Frühverrentungsprogramme Abertausende von Fachleuten. Hier stehen sich betriebswirtschaftliche Maßnahmen und die Volkswirtschaft beinahe unversöhnlich gegenüber.
Die Vorteile der Erfahrenen
Dabei brächte es für Unternehmen enorme Vorteile, die erfahrenen Kräfte zu halten. Gerade in Krisenzeiten bringen ältere Arbeitnehmende die entsprechende Erfahrung mit, haben Dotcom-, Finanz-, Eurokrise erlebt und überlebt. Sie verfügen über Eigenschaften, die gerade in schwierigen Zeiten wertvoll sein können: Stabilität, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Kontinuität. Sie haben wertvoller Netzwerke aufgebaut, begegnen den ebenso gealterten Kundinnen und Kunden auf Augenhöhe, strahlen Vertrauen aus. Und sie sind vielfach loyal. Nicht mehr auf dem Sprung zum nächsten Job oder höheren Level. Viele sind finanziell entspannter.
Und wie viel mehr sind diese Eigenschaften erst wert, wenn man sie mit den nachfolgenden Generationen kombiniert! Wenn Unternehmen in altersgemischten Teams für einen Wissens- und Erfahrungsaustausch sorgen. Ganz gleich, ob der oder die Vorgesetzte älter oder jünger ist, ein fruchtbarer Austausch von Ideen und Fähigkeiten funktioniert so oder so.
Selbstverständlich wollen nicht alle im Alter von 58 oder 62 Jahren noch 50 Stunden in der Woche unter Hochspannung arbeiten. Und manche können es auch nicht. Was spricht denn gegen eine verkürzte Arbeitszeit? Vier oder gar drei Tage in der Woche versus fünf? In Führungsrollen lässt sich die Verantwortung auch gemeinsam tragen. Führungsduos aus einer Person mit mehr und einer mit weniger Erfahrung können ein wichtiger Baustein in der Führungskräfteentwicklung und in Sachen Nachfolgeplanung sein.
Kein Vorurteil ohne Gegenargument
Und ja, es gibt Vorurteile gegenüber älteren Arbeitnehmenden. Und bei manchen sind diese auch berechtigt. Aber gegen welche Generation gibt es denn keine Vorurteile?
- Vielleicht sind ältere Arbeitnehmer nicht mehr bereit, die ganze Woche unterwegs zu sein. Ganz ehrlich? Die meisten jungen sind das auch nicht. Und in Zeiten des hybriden Arbeitens und der Videocalls ist das in den meisten Fällen auch gar nicht mehr nötig.
- Ältere Arbeitnehmende sind technisch nicht mehr versiert genug? Möglicherweise gibt es Jobs, für die das stimmt. Für mehr als 90% stimmt das nicht mehr. Die Babyboomer sind mit Computern, Smartphones und dem Internet seit 30 Jahren vertraut. Die meisten sind lernwillig und werden auch Themen wie KI meistern lernen.
- Ihre Belastbarkeit wird manchmal angezweifelt. Aber Überlastung ist sehr individuell und persönliche Erfahrung in kritischen Zeiten hilft, Belastung zu reduzieren.
- Mit älteren Arbeitnehmenden kann man nicht langfristig planen, weil sie nur noch ein paar Jahre arbeiten werden. Stimmt, aber wie lange kann man mit ambitionierten Hochschulabsolventen und -absolventinnen planen? Oder mit bestens ausgebildeten Fachkräften Mitte oder Ende 20? Zwei Jahre? Drei, wenn man einen guten Job macht. 58-Jährige stehen noch 7, 8 oder 9 Jahre zur Verfügung und die Wechselambitionen sind überschaubar. Warum nicht diese Umstände nutzen?
Die deutschen Unternehmen müssen umdenken. Und einige tun das bereits. Es ist kurz nach 12.
Checkliste
So gelingt der positive Umgang mit Altersvielfalt:
- Thema bewusst machen: Sprechen Sie bei allen Gelegenheiten über die Gefahren der Altersdiskriminierung und die Chancen, die sich aus diversen Teams ergeben.
- Angebote schaffen: Flexibilisieren Sie Arbeitsmodelle hinsichtlich der Zeit und der Verantwortlichkeiten. Kommunizieren Sie diese Flexibilisierung, idealerweise mit positiven Beispielen.
- Hinschauen: Akzeptieren Sie in der HR-Abteilung keine Absagen aus den Fachabteilungen, die nach Altersdiskriminierung „riechen“. Altersdiskriminierung ist gesetzlich verboten!
- Austauschformate anbieten: Schaffen Sie Angebote, um Vorurteile zu diskutieren und auszuräumen. Integrieren Sie das Thema „Alter“ in ihre Führungsformate. Auch Reverse Mentoring kann ein äußerst hilfreiches Tool sein, um den generationsübergreifenden Austausch zu fördern.
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