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19.03.25
19.03.25
In 5 min gelesen
Arbeitswelt & Karriere

„Von der Haltung ins Handeln kommen“

Cawa Younosi
© Anne Hufnagl

Wir müssen mehr miteinander reden und weniger ideologisch unterwegs sein, fordert Cawa Younosi anlässlich des Internationalen Tags gegen Rassismus. Wie Unternehmen ein antirassistisches Umfeld fördern und was Einzelpersonen tun können, lesen Sie im Interview mit dem Geschäftsführer des Charta der Vielfalt e.V.

Herr Younosi, als Geschäftsführer der Charta der Vielfalt engagieren Sie sich schon von Berufs wegen gegen Rassismus. Gibt es auch persönliche Treiber?

Cawa Younosi: Tatsächlich gehöre ich zu den 22 Prozent der Menschen in Deutschland, die laut dem Rassismusbericht der Bundesregierung solche Erfahrungen gemacht haben. 22 Prozent - das ist mehr als ein Fünftel der Bevölkerung! Dazu sollte man wissen: Rassismus hat viele Erscheinungsformen und betrifft nicht nur die Hautfarbe, sondern unter anderem auch die Herkunft, den Namen, die Sprache oder die Haare eines Menschen.

Wie gehen Sie persönlich mit rassistischen Vorfällen um?

Cawa Younosi: Ich gehe dazwischen, wo immer das ohne Eigengefährdung möglich ist. Zivilcourage ist so wichtig. Darüber hinaus wollen wir als Charta auch einen Preis ins Leben rufen, der Menschen Mut macht, den Mund aufzumachen und sich einzumischen. Einen Preis, der signalisiert, wie wichtig es ist, für Vielfalt, Toleranz und Respekt einzustehen.

Wie bewerten Sie die aktuelle Situation in Deutschland mit Blick auf den Rassismus? Welche Fortschritte sehen Sie?

Cawa Younosi: Wir haben seit 2022 mit Reem Alabali-Radovan eine Antirassismusbeauftragte im Bundeskanzleramt, die 2023 einen ersten Lagebericht veröffentlicht hat und Vorschläge für eine nachhaltige Antirassismus-Politik in Deutschland erarbeitet – das ist schon mal ein Fortschritt. Außerdem beobachte ich in der deutschen Gesellschaft ein großes Bedürfnis, Flagge zu zeigen. Auf Dauer reicht das jedoch nicht: Wir müssen mehr miteinander reden und weniger ideologisch unterwegs sein. Es würde uns als Gesellschaft guttun, unsere Gemeinsamkeiten stärker zu betonen, ohne die Herausforderungen, die zum Beispiel Migration mitbringt, zu ignorieren – aber bitte evidenz- und faktenbasiert. Insgesamt bin ich optimistisch, dass der eingeschlagene Weg des Fortschritts nicht umkehrbar ist – trotz allem, was wir gerade hören und erleben.

Dennoch sehen Sie auch Herausforderungen.

Cawa Younosi: Ja, vor allem, was politische Bildung und Medienerziehung an den Schulen anbelangt. Menschen, die sich später radikalisieren, fallen ja nicht vom Himmel, sondern sind in der Regel hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Und genau dort fängt Rassismus oft an – mit Hänseleien und Mobbing. Als Lehrkraft kann man solche Vorfälle entweder ignorieren oder zum Anlass nehmen, gemeinsam darüber zu sprechen – und damit unglaublich viel bewegen. Denn wenn junge Menschen politisch wachsam aus den Schulen entlassen werden, können wir uns als Gesellschaft besser auf diejenigen fokussieren, die durchs Raster gefallen sind.

Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit mit politischen und gesellschaftlichen Akteuren für die Arbeit der Charta?

Cawa Younosi: Die Charta ist kontinuierlich mit der Politik und der Wirtschaft im Dialog. So sprechen wir zum Beispiel mit Unternehmen darüber, wie sie sich vernetzen und Best Practices miteinander teilen können oder wie Demokratie auch am Arbeitsplatz gestärkt werden kann. Populismus und Rassismus werden schließlich nicht am Werkstor abgegeben. Ich finde es gut, dass viele CEOs inzwischen Haltung zeigen. Aber jetzt müssen sie den nächsten Schritt gehen und von der Haltung ins Handeln kommen, indem sie Themen wie Demokratieförderung und Antirassismus auch im eigenen Betrieb auf die Tagesordnung setzen. Und indem sie Räume schaffen, in denen darüber gesprochen werden kann, was populistische Forderungen ganz konkret für das eigene Unternehmen bedeuten würden.

Contentbild © shutterstock (mikhaylovskiy)

Welche Maßnahmen plant die Charta der Vielfalt, um Rassismus in der Arbeitswelt zu bekämpfen?

Cawa Younosi: Ein ganzes Bündel, und alle haben das gleiche Ziel: Vielfalt konkreter zu machen. So haben wir zum Beispiel die Unterzeichnungsprozesse der Charta überarbeitet. In Zukunft müssen sich Unternehmen, die die Charta unterzeichnen wollen, mit den Grundlagen von Diversity, Equity & Inclusion (DEI) befassen und eine entsprechende Schulung durchlaufen, bevor sie die Urkunde erhalten. Für Organisationen ab 250 Mitarbeitenden, die das Thema DEI systematisch angehen wollen, planen wir ein Audit mit Beratung und konkreten Handlungsempfehlungen. Am 15. Mai dieses Jahres werden wir gemeinsam mit dem Social Enterprise myAbility den ersten deutschen Inklusions-Summit veranstalten, am 27. Mai den Diversity Day mit einem Live-Festakt gemeinsam mit der Allianz begleiten. Darüber hinaus veranstalten wir monatliche Lunch Sessions zu bestimmten Themen und planen weitere Formate, um direkt mit Bundestagsabgeordneten über den Einsatz für Vielfalt zu sprechen.

Wie können Unternehmen und Organisationen aktiv ein antirassistisches Arbeitsumfeld fördern?

Cawa Younosi: Das ist viel einfacher, als die meisten glauben. Es braucht dazu keine eigene DEI-Abteilung! Viel wichtiger ist, dass Vorstand, Geschäftsführung oder Führungskräfte mit marginalisierten Mitarbeitenden in den Dialog gehen und aktiv nachfragen, wie es läuft und was verbessert werden könnte. So fühlen sich die Menschen wahrgenommen. Darüber hinaus gilt es, „moments that matter“ zu identifizieren und diese intern mit Empathie aufzugreifen. So könnte zum Beispiel die aktuelle Migrationsdebatte in einem Call, einer Mitarbeitendenversammlung oder einer E-Mail mit folgender Botschaft verknüpft werden: „Wir nehmen wahr, was da draußen passiert. Es tut uns leid, wie diese Debatte gerade geführt wird, aber hier in unserem Unternehmen könnt ihr euch sicher fühlen. Wir stehen hinter euch und bieten euch Anlaufstellen zum Reden.“ Wichtig ist auch, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dazu gibt es wunderbare Trainings wie zum Beispiel den Privilege Walk.

Und was können Einzelpersonen tun?

Cawa Younosi: Aufstehen und Haltung zeigen, wann immer man sieht, dass Menschen diskriminiert werden – im Verein, in der Bahn oder auch im Betrieb. Vorausgesetzt, man gefährdet sich damit nicht selbst. Ansonsten bitte weitere Personen involvieren und die Polizei anrufen. Mit einem solchen Verhalten signalisiert man betroffenen Personen: Ich sehe dich, ich nehme wahr, was hier geschieht, es ist nicht richtig und ich lasse dich nicht im Stich! Rassistische Vorfälle sollten auch zur Anzeige gebracht werden, denn nur dann gehen sie in die Kriminalstatistik ein. Im Unternehmen kann man solche Vorfälle bei entsprechenden Anlaufstellen oder auch der Compliance-Abteilung melden.

Auf internationaler Ebene beobachten wir, dass viele Unternehmen ihre Maßnahmen für Vielfalt und Inclusion zurückfahren. Gilt dies auch für die Unternehmen in Deutschland?

Cawa Younosi: Was in den USA passiert, ist vielfach nicht auf Deutschland übertragbar. In den USA wurden in erster Linie die Repräsentationsziele für People of Color an den Universitäten zurückgenommen. Diese Ziele gibt es in Deutschland nicht. Mir ist keine unserer unterzeichnenden Organisationen bekannt, die aus ideologischen Gründen Rückschritte plant. Ich glaube auch nicht, dass das in Deutschland so leicht wäre. Schließlich beschäftigen sehr viele Organisationen hier marginalisierte Personen wie Menschen mit Migrationsgeschichte und sind in Zeiten des Fachkräftemangels auch mehr denn je auf sie angewiesen.

Was ist ihre Vision mit Blick auf die Antirassismus-Arbeit der Charta?

Cawa Younosi: Unsere Vision ist, dass wir uns selbst wieder abschaffen, weil unter anderem der Rassismus in der Gesellschaft überwunden ist. Wenn wir mal einen Schritt zurücktreten und uns anschauen, was Menschen vor 500 oder 600 Jahren an Rassismus und Diskriminierung erleiden mussten und wo wir im Vergleich dazu heute stehen, dann sind wir schon ein gutes Stück auf diesem Weg vorangekommen. Unsere Vision motiviert uns, unermüdlich einen Beitrag dafür zu leisten, dass unsere Kinder in einer Welt aufwachsen, in der das Thema Diskriminierung nur noch in den Geschichtsbüchern stattfindet.

 

Cawa Younosi © Anne Hufnagl

Zur Person Cawa Younosi

Cawa Younosi ist Geschäftsführer der Arbeitgebendeninitiative Charta der Vielfalt e. V. Bis Oktober 2023 war er Personalchef und Mitglied der Geschäftsführung von SAP Deutschland. Mit seinen umfangreichen persönlichen und professionellen Erfahrungen ist der Volljurist gefragter Gesprächspartner zu den Themen HR, Vielfalt und zeitgemäße Arbeitswelt.

 

 

Charta der Vielfalt

Der Charta der Vielfalt e. V. ist die größte Arbeitgebendeninitiative zur Förderung von Diversity in Unternehmen und Institutionen Deutschlands. Das Herzstück des Vereins ist die Urkunde „Charta der Vielfalt“, die zur Anerkennung und Einbeziehung von Vielfalt in der Arbeitskultur 2006 gemeinsam von Unternehmen und Politik ins Leben gerufen wurde. Im Januar 2011 wurden die Aktivitäten in einen Verein überführt.

Ziel der Initiative ist ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld und dass alle Beschäftigten – unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft – Wertschätzung erfahren.

Mehr als 6.000 Organisationen haben die Charta der Vielfalt bis heute unterzeichnet.

 

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Alexandra Maier

Ein Beitrag von Alexandra Maier

Alexandra Maier ist Expert Content & Responsibility Communication bei Hays sowie Mitglied des Diversity Councils. Sie kommuniziert für die Themenbereiche Diversity & Inclusion, CSR und Klimaschutz und ist Chefredakteurin des Magazin-Bereichs Think ahead auf der Hays-Website.

Kontakt: Alexandra.Maier@hays.de
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