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11.09.24
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Unternehmen & Märkte

„Den Arbeitskräftemangel kann man nicht wegdigitalisieren“

Prof. Dr. Enzo Weber
© IAB

Der deutsche Fachkräftemarkt schlägt seltsame Kapriolen. Während einerseits Personal überall Mangelware ist, werden andererseits vielerorts Stellen in großem Stil abgebaut und Neueinstellungen drastisch reduziert. Das bestätigt der aktuelle Hays-Fachkräfte-Index, demzufolge die Nachfrage im zweiten Quartal 2024 deutlich eingebrochen ist. Arbeitsmarkt-Experte Prof. Dr. Enzo Weber erläutert, wie die Zusammenhänge ökonomisch zu erklären sind.

Laut Index gibt es einen massiven Nachfrageeinbruch, vor allem nach qualifiziertem Fachpersonal. Ist diese Entwicklung allein auf die wirtschaftliche Stagnation zurückzuführen?

Prof. Dr. Enzo Weber: Seit Beginn der Energiekrise im Jahr 2022 hängt Deutschland in einem zähen Wirtschaftsabschwung fest. Nach ersten Anzeichen einer Besserung im Frühjahr tritt die Konjunktur jetzt wieder auf der Stelle. Das macht sich auch am Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Beschäftigung steigt zwar weiterhin, allerdings in einem sehr gedämpften Tempo. Das erklärt auch den signifikanten Rückgang neuer Stellenausschreibungen und sogar den Stellenabbau. Und das, obwohl Fachkräfte an vielen Stellen in den Unternehmen knapp sind.

Welche Auswirkungen oder Konsequenzen hat diese Zurückhaltung im Recruitment für die derzeitige, eher angespannte Personalsituation in den Unternehmen? Wäre es nicht schlauer, antizyklisch einzustellen?

Prof. Dr. Enzo Weber: Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation sind Arbeitskräfte knapp geworden. Im Grunde sind sie so knapp wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Auf diese Entwicklung reagieren Betriebe auch in der Personalpolitik. Die Entlassungsquote ist über viele Jahre stark zurückgegangen. Generell gesprochen werden Arbeitskräfte also gehalten, weil es schwieriger geworden ist, offene Stellen wieder zu besetzen. Am leichtesten lässt sich auf die wirtschaftliche Entwicklung bei den Einstellungen reagieren. Das zeigt sich auch in der Arbeitslosigkeit, wo die Chancen auf einen neuen Job deutlich gesunken sind.

Frau sitzt vor ihrem Bildschirm am Schreibtisch © Brandportal Hays

Wir erleben in Deutschland, dass gerade im Fach- und Führungskräfteumfeld Arbeit immer teurer wird. Damit dürfte sich die Nachfrage noch weiter abkühlen. Heißt das im Umkehrschluss, dass der konsequente Technologieeinsatz (z.B. durch KI) immer mehr zunimmt? Wie muss sich dann die Personalpolitik der Unternehmen verändern?

Prof. Dr. Enzo Weber: Aktuell hat die Lohnentwicklung angezogen, auch um die starken Preissteigerungen der vergangenen beiden Jahre auszugleichen. Seit 2020 waren die Löhne nach Abzug der Inflation allerdings sogar zurückgegangen. Dieses Hin und Her ist auf Sondereffekte wie die Inflationsausgleichsprämie oder abgabe- und steuerfreie Prämien zurückzuführen. In der Zukunft dürfte die Lohnentwicklung ruhiger verlaufen, aber angesichts der Fachkräfteknappheit aufwärts gerichtet bleiben. Der Einsatz von KI in der Wirtschaft wird weiter zunehmen. Man kann Arbeitskräftemangel gesamtwirtschaftlich aber nicht wegdigitalisieren. Es kommt darauf an, KI für höhere Produktivität, anspruchsvollere Jobs und neue Geschäftsmodelle zu nutzen. Die Arbeitskräfteknappheit wird bleiben, aber sie bietet auch große Chancen, Arbeitskräfte effektiver einzusetzen und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Wie ist Ihre Prognose für die kommenden Quartale? Haben wir die Talsohle bei den Ausschreibungen erreicht? Wo gibt es Hoffnung auf eine Erholung (z.B. niedrigeres Zinsniveau in der Bauwirtschaft)? Oder wird es demographiebedingt bei dieser Reduktion bleiben?

Prof. Dr. Enzo Weber: Eine konjunkturelle Trendwende wäre möglich, wenn nach der aktuellen Transformation die Investitionen zulegen und sich der Konsum nach langer, inflationsbedingter Flaute erholt. Die aktuellen Indikatoren deuten darauf aber noch nicht hin.

Dennoch bestehen Chancen, für das nächste Jahr zu einer Erholung zu kommen. Trotz aller Schwierigkeiten haben wir heute Rekordbeschäftigung. Das könnte sich in Folge der demographischen Entwicklung ändern, denn über die 2020er-Jahre gehen die Babyboomer in Rente. Das macht ein Minus von etlichen Millionen Arbeitskräften aus. Die Beschäftigungsentwicklung ist also auf eine engagierte Fachkräftepolitik seitens der Unternehmen angewiesen, die vor allem bei Älteren, Frauen und Zugewanderten Potenziale hebt.


Professor Dr. Enzo Weber leitet den Forschungsbereich „Prognosen und makroökonomische Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit und ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg.


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Silvia Hänig
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