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21.08.24
20.08.24
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Die Energiewende wird ein kleines Jobwunder vollbringen

Header Bild: Kollegen arbeiten zusammen an einem Energieprojekt
© Getty Images (Thing Nong Nont)

Nicht nur in der Natur, auch in der Wirtschaft grünt es zunehmend: Green Economy und Green Business sind in aller Munde. Green Skills, also die Fähigkeiten und Kenntnisse, die es braucht, um Produkte, Services und Prozesse auf die Herausforderungen des Klimawandels auszurichten, sind gefragt wie nie. Think ahead hat Paul Endres, Head of Green Business bei Hays, und Lars Janßen, Account Director für die beiden größten deutschen Energieversorgungsunternehmen sowie Experte der Energiebranche bei Hays, zum Zukunftstrend Green Skills in der Energiebranche befragt.

In Deutschland ist die Zahl der Stellen im Bereich erneuerbare Energien laut Umweltbundesamt zwischen 2019 und 2022 von 309.000 auf 387.700 gestiegen. Wie erklärt sich dieser Boom?

Paul Endres: Laut Angabe des Statistischen Bundesamtes lag im Sommer 2021 der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromeinspeisung in Deutschland bei 43,1 Prozent. Durch den Kohleausstieg, die staatliche Förderung erneuerbarer Energien und die aufgrund der aktuellen politischen Lage entstandene Notwendigkeit, schneller von fossilen Energiequellen unabhängig zu werden, wird dieser Anteil weiter steigen – und damit auch die Zahl der Stellen in diesem Sektor.

Lars Janßen: Zumal hier gerade neue Berufsbilder wie zum Beispiel im Bereich Servicetechnik für Windenergie oder Energiemanagement entstehen. Im Letzteren werden Unternehmen oder private Haushalte zu ihrer Dekarbonisierung beraten. Ich bin mir sicher: Die Energiewende wird ein kleines Jobwunder vollbringen.

Welche Rollen sind hier besonders gefragt?

Lars Janßen: Das sind Rollen entlang der gesamten Wertschöpfungskette im Energiesektor – von der Energieerzeugung über ihre Speicherung und Einspeisung ins Netz bis hin zum Energiehandel und -vertrieb. Gesucht werden zum Beispiel On- und Offshore-Fachkräfte, die Fundamente für Windparks errichten können. Es braucht Fachleute für Projektentwicklung, die geeignete Flächen für den Bau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen identifizieren und den Prozess bis zur Baugenehmigung vorantreiben. Wichtig sind darüber hinaus Projektmanagerinnen und -manager, die sich um die Planung und den Bau dieser Anlagen kümmern. Um den Strom aus den Windparks für alle zugänglich zu machen, müssen Netze ausgebaut und Nord-Süd-Trassen angelegt werden. Hier kommen Expertinnen und Experten aus den Ingenieurwissenschaften und dem Tiefbau ins Spiel. Gefragt sind aber auch IT-Fachkräfte aus den Bereichen Softwareentwicklung, Architektur und allen voran IT-Sicherheit.

Bild von Lars Janßen
© Lars Janßen

Lars Janßen, Account Director für die beiden größten deutschen Energieversorgungsunternehmen sowie Experte der Energiebranche bei Hays.

Kann dieser Bedarf in Zeiten des akuten Fachkräftemangels überhaupt gedeckt werden?

Lars Janßen: Der Energiesektor ist aktuell von einer Unterdeckung bedroht, die ein Risiko für die gesamte Energiewende darstellt. Denn die ambitionierten Ausbauziele der erneuerbaren Energien sind nicht nur durch die langwierigen Vergabeverfahren, sondern vor allem durch die fehlenden Fachkräfte gefährdet, die diese Pläne umsetzen sollen. Aus diesem Grund setzen immer mehr Energieversorgungsunternehmen auf Nearshoring-Lösungen, das heißt, sie sehen sich – auch mit unserer Hilfe – im Ausland um. So haben einige damit begonnen, Spezialistinnen und Spezialisten für Offshore-Windparks aus Großbritannien oder Skandinavien zu rekrutieren. Denn diese Fachkräfte bringen wertvolles Know-how aus dem Bau von Ölplattformen mit. Osteuropa und Indien bieten einen wertvollen Fundus an gut ausgebildeten und dringend gesuchten Expertinnen und Experten für Softwareentwicklung und IT-Architektur.

Um dem Fachkräftemangel bei den erneuerbaren Energien wirkungsvoll zu begegnen, sollte darüber hinaus eine Wende in der Ausbildung vollzogen werden. Zwar bieten Universitäten neue Studiengänge für die regenerativen Energien an, doch gilt es, die MINT-Fächer noch viel stärker zu fördern und besonders für Studentinnen attraktiver zu machen. Auch die Energiebranche muss hier noch Hausaufgaben machen. So hat sie wohl eigene Ausbildungsprogramme entwickelt, übersieht aber häufig noch das Potenzial, das im Thema Upskilling und Reskilling steckt. Ich denke hier insbesondere an die Golden Ager aus der Kohleverstromung mit ihrem umfassenden Wissen über die Energieerzeugung. Diesen Wissensschatz sollte man durch entsprechende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen gezielt für den Bereich erneuerbare Energien nutzen.

Welche Bedeutung kommt der künstlichen Intelligenz (KI) vor dem Hintergrund des gerade beschriebenen Fachkräftemangels in der Energiebranche zu?

Lars Janßen: KI wird für die Energiewende und damit für die Energiewirtschaft zur Schlüsseltechnologie werden – nicht nur wegen des Fachkräftemangels, sondern auch aufgrund der immer komplexer werdenden Aufgabenstellungen in der Branche. So sorgt KI durch präzisere Prognosen des Energiebedarfs beispielsweise für ein optimiertes Einspeisemanagement und damit für einen stabilen Netzbetrieb. Sie beschleunigt Genehmigungsverfahren durch eine noch genauere Analyse und Validierung von einzureichenden Dokumenten. Außerdem reduziert sie im Controlling die manuellen Aufwände durch automatische Fehlererkennung. Damit nicht genug, legt die KI-basierte Datenanalyse den Grundstein für innovative Geschäftsmodelle, wie zum Beispiel die personalisierte Energieberatung, virtuelle Kraftwerke oder dynamische Preisgestaltung, um nur einige zu nennen. Diese Geschäftsmodelle wiederum schaffen vielfältige neue Jobs in der Branche. So werden die Energieunternehmen unter anderem Datenwissenschaftler und KI-Spezialistinnen, Wartungstechniker für KI-Systeme, Netzwerk- und Systemingenieurinnen, Kundendienstmitarbeitende mit KI-Kenntnissen oder auch Fachkräfte für dynamische Preisgestaltung benötigen.

Mit fortschreitendem Ausbau der erneuerbaren Energien rücken aktuell immer mehr die energieintensiven Industrien in den Fokus, die auf Power-to-X-Technologien, angewiesen sind, um ihre Klimaneutralitätsziele zu erreichen. Wie sieht der Umsetzungsstand dieser Technologien, die Strom aus erneuerbaren Quellen per Elektrolyse in einen anderen Energieträger wie z.B. Wasserstoff umwandeln, in Deutschland aus?

Paul Endres: Deutschland hat bei der Umsetzung seiner Nationalen Wasserstoffstrategie erhebliche Rückstände. Laut einer Studie der Unternehmensberatung PwC sind derzeit weniger als 0,1 Gigawatt (GW) an Elektrolysekapazitäten in Betrieb, obwohl bis 2030 eine Kapazität von 10 GW erreicht werden soll. Dies bedeutet, dass Deutschland jährlich 1 bis 2 GW an Elektrolyseanlagen sowie 200 bis 400 Windräder bauen müsste, um das Ziel zu erreichen. In den vergangenen zwei Jahren wurden jedoch nur Projekte mit 0,25 GW finanziert. Neben regulatorischen Rahmenbedingungen, Investitionsanreizen und Infrastrukturausbau sind vor allem auch spezialisierte Fachkräfte ein wesentlicher Faktor, um diese Lücke zu schließen.

Bild von Paul Endres
© Hang Shuen Lee

Paul Endres, Head of Green Business bei Hays

Welche Fachkräfte braucht es genau, um die Wasserstoffwirtschaft auszubauen?

Lars Janßen: Um Anlagen zur Wasserstofferzeugung zu entwickeln, zu errichten, zu überprüfen und zu betreiben, braucht es zum Beispiel technische Systemplanerinnen, Anlagemechaniker, Mechatronikerinnen, Chemikanten, Elektronikerinnen für Automatisierungstechnik oder Fachkräfte für Schutz und Sicherheit.

Wie bei den MINT-Berufen insgesamt, sind hier koordinierte Anstrengungen notwendig, um spezialisierte Fachkräfte für die Wasserstoffwirtschaft zu gewinnen. Die Ausbildung und Qualifizierung im Bereich Wasserstofftechnologie muss intensiviert, bestehende Ausbildungsberufe sollten um spezifische Module erweitert werden. Berufsbegleitende Qualifizierungsangebote könnten Fachkräften aus verwandten Bereichen den Einstieg erleichtern. Zusätzlich kann die internationale Rekrutierung von Fachkräften, gestützt durch bilaterale Abkommen und Anwerbeprogramme, ein Baustein sein.

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Alexandra Maier
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