Rekrutierungsstrategien müssen mehr qualitativ
gedacht werden
Frau Silvia Hänig im Interview mit Herrn Prof. Kanning
Herr Prof. Kanning, wenn es um Fachkräftenot geht, bewerten deutsche Führungsverantwortliche diese Entwicklung für ihr Unternehmen als größtes wirtschaftliches Risiko. Was können sie jetzt tun?
Auch wenn es banal klingt, aber sie müssen sich bewusst sein, dass dieser Mangelzustand sie dauerhaft begleiten und weiter an Intensität zunehmen wird. Personalerinnen und Personaler müssen überlegen, welche Möglichkeiten sie jetzt über ihr Personalmarketing und ihre Personalauswahl haben, um diese Entwicklung für sich abzumildern. Dafür müssen sie sich schlau machen, welche Optionen es überhaupt gibt. Hier bietet die Forschung seit Jahrzehnten wertvolle Hinweise, die vielen Verantwortlichen aber leider unbekannt sind.
Aber hätten sie das nicht schon vor Jahren machen sollen? Schließlich gibt es den Fachkräftemangel nicht erst seit gestern.
Sicher, wenn man aus der Forschung auf die Situation schaut, gibt es große Defizite. Hier hätte man sich schon vor Jahren besser aufstellen können. Nehmen wir die Personalauswahl. Wenn man statt 50 nur noch zwei Bewerbungen auf eine Position bekommt, ist dies ein eindeutiges Signal, dass sich der Bewerbungsmarkt verändert und darauf muss ich aktiv reagieren.
Und jetzt setzen viele laut Studie auf die Erschließung neuer Personengruppen wie Frauen in Teilzeit oder Best Ager. Richtige Strategie?
Prinzipiell gibt es nichts dagegen einzuwenden, neue Zielgruppen zu erschließen, die man bisher nicht auf dem Radar hatte und die in der Vergangenheit oft durch das übliche Bewertungsraster gefallen sind. Wichtig ist dabei vor allem, die echten Potenziale zu erkennen und zu heben. Hierzu benötige ich qualitativ gute Auswahlmethoden.
© Bildunterschift
Selbst wenn man nicht mehr die große Auswahl an Bewerbenden vor sich hat?
Ja, je weniger geeignete Personen im Talentpool sind, desto qualitativ hochwertiger müssen die Auswahlmethoden sein, um diese Personen als solche identifizieren zu können. Dabei baut eine gute Personalauswahl auf einem guten Personalmarketing auf. Wenn ich weniger Bewerbende habe, heißt das nicht zwangsläufig, dass sich die Lage für mein Unternehmen verschlechtert. Es kommt nicht auf die Masse, sondern auf die Qualität des Talentpools an. Aus diesem Grund darf das Personalmarketing nicht darauf abzielen, möglichst viele Bewerbende anzusprechen. Eher das Gegenteil führt zum Ziel. Die Zusammensetzung des Pools sollte qualitativ besser werden, indem ich geeignete Personengruppen gezielt anspreche und ungeeignete Personen von einer Bewerbung abhalte. Etwas allgemeiner formuliert: Menschen anziehen, daran denken alle. Den Fachkräftemarkt selektiv zu adressieren, daran denken zu wenige. Wir müssen dringend weg von der Fokussierung auf eine große Bewerberanzahl.
Was bedeutet dieses Umdenken denn konkret für die Personalauswahl?
In jedem Fall sollte der Qualität bei der Auswahl mehr Raum gegeben werden, denn in Zukunft werde ich die Arbeit, die ich vorher noch mit zehn Personen gemacht habe, mit vielleicht acht Personen stemmen müssen. Das lässt sich nicht vollständig durch Digitalisierung kompensieren. Für die Personalauswahl geht es dann vor allem darum, die Menschen einzustellen, die beispielsweise zehn Prozent mehr Leistung bringen können, ohne dabei überlastet zu sein. Die Frage lautet also: Wieviel Prozent leistungsfähiger ist Person A im Vergleich zu Person B, die ich ebenfalls hätte einstellen können? Sowohl beim Anwerben als auch bei der Auswahl kommt es darauf an, Leute zu finden, denen die Arbeit leichter von der Hand geht.
© Hays Brand Portal
Laut Studie machen Unternehmen allerdings tendenziell immer mehr Zugeständnisse beim qualitativen Job-Match.
Prof. Dr. Uwe Kanning Der Fachkräftemangel sollte nicht dazu führen, dass man bei der Qualität der Personalauswahl Abstriche macht. Im Gegenteil: Zunächst brauche ich eine realistische und valide Anforderungsanalyse. Viele denken sich die Anforderungen leider nur aus. So entstehen Kataloge mit zehn oder mehr Kompetenzen. Das ist nicht prinzipiell falsch, aber meist ist das Ergebnis so allgemein, dass es für so gut wie jeden Arbeitsplatz gelten könnte. Wenn ich sage, eine Führungskraft muss führen können, sagt das erstmal gar nichts aus. Es geht darum, Kompetenzen inhaltlich stellenspezifisch zu definieren und dabei die wirklich wichtigen Kompetenzen von den weniger wichtigen zu trennen. Die Kompetenzen müssen qualitativ voneinander unterscheidbar sein und das anschließende Auswahlverfahren muss so gut sein, dass es die Kompetenzen tatsächlich erfassen kann.
Und warum fällt es der Personalabteilung heute so schwer, sich auf diese Herangehensweise flächendeckend einzulassen?
Das Personalwesen ist einerseits in Traditionen verhaftet. So gibt es bestimmte Riten, wie beispielsweise ein Anschreiben auszusehen hat. Diejenigen, die sich nicht daran halten, erscheinen dann fälschlicherweise als ungeeignet. Andererseits rennt man nur allzu unreflektiert bestimmten Trends hinterher. Hinzu kommt – je länger ich in einem Beruf arbeite, desto schwerer fällt mir die Abkehr von den erlernten Mustern. Wenn ich seit 20 Jahren Personalentscheidungen treffe, habe ich oft sehr feste Überzeugungen, wie man etwas macht, bis hin zu der Illusion, dass ich spüre ob jemand zu uns passt. Wenn ich also Dinge schon sehr lange mache, fällt es mir immer schwerer, diese konsequent zu hinterfragen. Dabei gäbe es viele wichtige Fragen zu stellen: Zum Beispiel, wie ehrlich sind wir in unseren Stellenanzeigen? Sind unsere Auswahlkriterien bei der Sichtung der Bewerbungsunterlagen wirklich valide? Wie gut kann unser Einstellungsinterview tatsächlich berufliche Leistung prognostizieren?
Prof. Dr. Kanning, vielen Dank für das Gespräch.
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