Diese Skills sind für die
Arbeitswelt von morgen entscheidend
Anlässlich des „World Youth Skills Day” hat unser Autor Friedrich Menz, Leiter des Hays Learning Centers, die wichtigsten Kompetenzen und Fähigkeiten analysiert, die junge Menschen für einen erfolgreichen Einstieg in den sich immer schneller wandelnden Arbeitsmarkt benötigen.
Zu den erstaunlichen Erfahrungen des Alterns gehört für mich, wie schnell dies geht. Gefühlt war ich gestern noch 18, heute schon 42. Wer hat an der Uhr gedreht, denke ich mir manchmal. Gleichzeitig möchte ich nicht nochmal 18 sein. Denn zur Magie der Jugend gehört leider ein Dilemma, das über die Jahre meiner Wahrnehmung nach eher größer geworden ist: die schiere und kaum überschaubare Menge an Möglichkeiten. Diese kann mitunter überfordernd, ja einschüchternd wirken und schnell das Gefühl auslösen: egal, wofür ich mich entscheide, ich entscheide mich in jedem Fall gegen eine Alternative, die ich vielleicht gar nicht kenne oder die ich zu spät als passend für mich erkenne. In der Psychologie ist das als „Overchoice-Effekt“ bekannt; zu viele Wahlmöglichkeiten sind genauso frustrierend wie zu wenige.
Und diese Statistik hat mich jüngst nachdenklich gestimmt: In Deutschland haben 2,5 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren weder eine abgeschlossene Ausbildung noch ein abgeschlossenes Studium1. Diese Menge entspricht etwa der Einwohnerzahl von München und Köln zusammen! Gleichzeitig liest man, dass im Juni 2023 in Deutschland insgesamt 769.000 offene Stellen2 gemeldet waren und im vergangenen Jahr knapp 70.000 Ausbildungsplätze unbesetzt bzw. nicht vergeben werden konnten3. Es ist also nicht so, dass kein Bedarf an (gerade jungen) Fachkräften herrschte oder es keine Bildungsmöglichkeiten gäbe, die übrigens in ihrer Vielfalt global betrachtet sehr selten sind – in vielen Ländern gibt es jenseits der akademischen Ausbildung kein duales Ausbildungssystem, das so etabliert und anerkannt ist wie in den deutschsprachigen Ländern.
Die Ausbildung als Grundlage für den Start ins Berufsleben
Junge Menschen brauchen nach meiner jahrelangen Erfahrung im Umgang mit ihnen in Recruiting- und Weiterbildungskontexten vor allem eins:Orientierung. An erster Stelle steht nach wie vor eine Ausbildung als Grundlage für den Start ins Berufsleben, gleich ob dual oder akademisch. Neben der Frage der Ausbildungsart und -richtung stellt sich aber auch die Frage nach den Fähigkeiten, die ganz unabhängig von der gewählten beruflichen Richtung zukünftig von großer Bedeutung sein werden. Auf der Basis der Daten des World Economic Forums, unserer eigenen Erkenntnisse aus der Aus- und Weiterbildung von >1.500 jungen Menschen pro Jahr und den Anforderungen aus der Wirtschaft, mit denen wir uns im (Weiter-)Bildungskontext konfrontiert sehen, lassen sich die folgenden Kompetenzen, Fertigkeiten und Fähigkeiten ableiten, die ich für zentral halte, um als junger Mensch zuversichtlich und optimistisch zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sein.
Welche Skills unterscheiden uns von künstlicher Intelligenz?
Auffällig dabei ist, dass es sich um Fähigkeiten handelt, die im Grunde unser Menschsein ausmachen und uns zugleich erlauben, unsere analoge Welt mit der digitalen zu verbinden, denn klar ist auch: weder können wir auf bestimmten Gebieten mit Computern konkurrieren, noch sollten wir es. Das als Moravecsches Paradox bekanntes Dilemma beschreibt dies gut. Moravec schreibt: „Es ist vergleichsweise einfach, Computer dazu zu bringen, Leistungen auf Erwachsenenniveau bei Intelligenztests oder beim Dame spielen zu erbringen, und schwierig oder unmöglich, ihnen die Fähigkeiten eines Einjährigen in Bezug auf Wahrnehmung und Mobilität zu vermitteln.“ Mit anderen Worten: wir sollten uns nicht damit aufhalten, mit Maschinen konkurrieren zu wollen, die bestimmte Tätigkeiten immer viel schneller und besser ausüben werden als wir, sondern wir sollten uns auf das fokussieren, was uns gegenüber künstlicher Intelligenz unterscheidet und hervorhebt.
© iStock (Sturti)
Für die Zukunft wird noch mehr als bisher gelten: „soft is hard und hard is soft“, also: was wir heute noch als „Soft Skills“ bezeichnen, sind in Wirklichkeit „Hard Skills“, ohne die wir weniger erfolgreich sein und sogar scheitern werden:
Analytisches, kreatives und unabhängiges Denken
Konfrontiert mit einem „Overload“ an Informationen müssen wir immer schneller neue Informationen suchen, sortieren, bewerten und verwenden. Der immer schnelleren „Technology Adoption Rate“, also der Verbreitung von Technologie steht eine Hardware zur Verarbeitung all diesen Inputs gegenüber, die im Wesentlichen seit Zehntausenden von Jahren unverändert ist – unser Gehirn. Die Fähigkeiten, Informationen nach ihrem Wert, Wahrheitsgehalt und ihrer Bedeutung zu beurteilen und entsprechende Ableitungen zu treffen, ist gerade in einer digitalen Welt von zentraler Bedeutung. Die Balance aus sozialer Zugehörigkeit, derer wir bedürfen, und geistiger Unabhängigkeit, die wir anstreben sollten, ist dabei der Grat, auf dem wir uns bewegen. Gleichzeitig stellen durch KI erstellte Informationen erheblich Risiken dar, weil sie manipuliert werden und zur Manipulation verwendet werden können, Stichwort „Fake News“. Das manipulative Potenzial künstlicher Intelligenz muss uns noch wachsamer werden lassen gegenüber der Herkunft, der Qualität und Richtigkeit von Informationen und Nachrichten. Dafür braucht es vor allem eins: einen wachen, kritischen Geist. Kreativität wiederum gehört zu den Fähigkeiten, die zu den Merkmalen unserer Humanität an sich zählen und erst das Potenzial der Interaktion von Mensch-Maschine erschließen; beides steht nicht im Widerspruch zueinander. Maschinen können heute schon kreativ sein: Bilder malen, ganze Symphonien schreiben. Wesentlich ist hier also auch die Frage, wie digitale Applikationen unser kreatives Potenzial unterstützen können, denn vergessen wir nicht: eine künstliche Intelligenz erkennt letztlich nur Muster, sie empfindet nichts.
Collaboration & Teamwork
Kaum eine Arbeit kann heutzutage noch vollständig autark erledigt werden und wo dies der Fall ist, halten bereits Technologien Einzug, die diese Arbeiten teils viel produktiver, teils aber auch obsolet werden lassen. Das sollte uns aber nicht schrecken, sondern optimistisch stimmen. Mit anderen gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, zu ergänzen, zu hinterfragen und auszutauschen, gehört aktuell und auf Sicht zu den wichtigsten „Soft Skills“ überhaupt. Die Zusammenarbeit mit anderen stellt hohe Anforderungen an unsere Impulskontrolle, Empathie und ganz allgemein unsere emotionale Intelligenz, die wiederum zutiefst menschliche, zutiefst analoge Fähigkeiten und Kompetenzen umfasst.
Technologisches Verständnis
Oft und gerne wird kolportiert, dass „die junge Generation“ sehr technologieaffin sei. Tatsächlich aber weisen Studien immer wieder nach, dass mit dem Wort „affin“ in der Regel nur „Interesse an einfacher, intuitiver Bedienbarkeit bei größtmöglichem Komfort“ gemeint ist. So gaben kürzlich 80% der Teilnehmerinnen und Teilnehmern einer Studie unter Studentinnen und Studenten zu generativer KI zwar an, ihnen sei Wissenschaftlichkeit bei einem KI-Tool wichtig, jedoch hinterfragten sie nicht, wie die KI ihre Ergebnisse generiere4. Wischen, klicken, swipen ja, aber wie das funktioniert – egal? Affinität lässt sich in diesem Beispiel jedenfalls nicht mit „Verständnis“ oder auch nur „Interesse“ gleichsetzen. Wenn Plattformen wie Udacity, Udemy, Kaggle, DataCamp, Coursera und edX und vergleichbare Weiterbildungsportale nicht bekannte oder nicht genutzte Ressourcen sind, dann lassen sich (nicht nur) junge Menschen große Chancen entgehen, die Entwicklungskurve der Technologien mitzuverfolgen und zu verstehen. Also Coding-Kurse schon in der Grundschule? Nicht unbedingt, aber im jungen Erwachsenenalter? Klare Empfehlung dafür!
Neugier und Lernbereitschaft
Vieles spricht dafür, dass wir uns in der Tat auf der zweiten Hälfte des Technologieschachbretts befinden, von dem Ray Kurzweil in seinem berühmten Essay schrieb5, dass also die technologische Entwicklung bereits so rasant fortgeschritten ist, dass wir in ein Zeitalter exponentiellen technologischen Wachstums eingetreten sind und Veränderungen unserer Umwelt nicht mehr als fühlbaren „Bruch“, sondern als unbestimmbare, aber enorme Geschwindigkeitszunahme des Lebens empfinden. Weil Faktenwissen (zumindest in vielen Bereichen des Lebens) immer schneller veraltet – und damit auch einmal Gelerntes an Relevanz verliert – ist die Fähigkeit, sich selbstständig und zügig neues Wissen anzueignen essentiell, man möchte sogar sagen: existenziell. Re- und Upskilling sind Begriffe für großangelegte Programme, die in aktuellen Diskussionen aufzeigen, welche Schwierigkeiten das – zumal lebensälteren – Arbeitnehmenden macht: neu anzufangen und dabei Neugier, Interesse und Begeisterung für Neues zu entwickeln. Der wesentliche Vorsprung der Lebensälteren vor den Jungen ist im besten Falle die Weisheit, die sich aus bereits bestandenen Prüfungen, begangenen Fehlern und ausgetragenen Konflikten speist. Aber der große Vorteil der Jugend ist seit jeher ihre Leidenschaft und Begeisterungsfähigkeit, ihre Neugier und ihr Mut. Bewahren wir uns diese Lust auf die Welt sind wir für die Zukunft – auch im Alter – noch gut gerüstet. In gewisser Hinsicht sind Future Skills also in Wahrheit zeitlose Skills – besinnen wir uns auf unsere Humanität erkennen wir wie in einem Spiegel das Potenzial für die Zukunft.
4Vgl. Kabel, Claudia: Studie zu KI: So nutzen Studierende Chat-GPT und Co. www.fr.de/rhein-main/darmstadt/studie-zu-ki-so-nutzen-studierende-chat-gpt-und-co-92374633.html
55 Vgl. Kurzweil, Ray: The Age of Spiritual Machines: When Computers Exceed Human Intelligence. New York, 1999.
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